Verzauberte Orte und zerstobene Idyllen      

 

Reinhold Gries / Kunsthistoriker

 

Zur Ausstellung "Dispersed Idyll"

10. Nov. 2012 - 02. Dez 2012

BOK Galerie Offenbach 2012

 

 

Die zwischen Berlin und einem mecklenburgischen Dörfchen im Hinterland des Boddens pendelnde Künstlerin Andrea Hildebrandt weiß, wovon sie spricht, zeichnet und malt, wenn sie über die Zerstörung der Landschaft durch Monokulturen spricht. Von dem Hof aus, auf dem sie sich mit Berliner Künstlern zum nordvorpommerschem „NOVOPO“-Kunstprojekt trifft, kann sie die Ausplünderung und das Verschwinden von Natur beobachten, auch durch Beton-Funkmasten, Hochspannungstrassen und Windräder. Auch deshalb geht die 31-jährige fast jeden Tag in den Wald, wo sie in hohen Bäumen und dschungelhaft Verwachsenem, über den Waldboden Kriechendem und hoch hinaus Strebendem Inspiration findet. Was sie dabei sieht und fühlt, bringt sie in sensiblen Konturen und Strichlagen mit Grafit- und Buntstift zu Papier oder verarbeitet es zu poetisch-expressiver Malerei, die vielschichtig wirkt.

 

Die feine Ästhetik ihrer „Canopy“-Serie zu bizarr gezeichneten Baumkronen mutet oft an wie fernöstliche Zeichenkunst oder auch wie fantasievoll wuchernde Astwerk- und Wurzelstudien deutscher Romantiker des 19. Jahrhunderts. Dazu kommt die für Hildebrandt typische  Formauflösung und   Fragmentierung,  dem  steten  Wachsen  und   Vergehen der  Natur  nachempfunden. In  Buntstift- Kompositionen wie „Gregarious“ oder Grafit-Zeichnungen wie „Buschland“ dringt die in Greifswald und Berlin Ausgebildete durchaus rhythmisch zu abstrakteren Bildideen vor. „Natur ist für mich der Anhaltspunkt“, sagt Hildebrandt dazu.

 

Wenn sie Eitempera-, Öl- und Acrylfarbe ins Spiel bringt, wird Malen zum Abenteuer. Da verwandeln sich Bäume und Wildpflanzen zu farbintensiven Farbflächen und Formenspielen, die noch gegenständlich sein können, sich aber in freier Formulierung so verzweigen und verbiegen, dass man das „Gewirr“ nennen kann. Derlei Transformationen führen in eine zuweilen beunruhigende Zauberwelt, vor allem, wenn das Auge keinen Haltepunkt inmitten dynamischer Pinselschwünge mehr findet. Ausdrucksstarke Gemälde wie „Comes out of the thicket“ oder „Rot“ geleiten in ein Dickicht der Imagination, in dem sich Idyll und Bedrohung überlagern. Bei manchen der neoexpressiven Zeichnungen und Malereien fühlt man sich nicht nur an die Neuen Wilden sondern auch an die Frankfurter Künstlergruppe „Quadriga“ erinnert. Deren Neuanfänge moderner Malerei nach dem 2. Weltkrieg schreibt Hildebrandt fort, ohne es zu wissen.

 

Meisterlich  versteht   es die gebürtige  Zwickauerin auch, Kleinformaten inneres  Leben und Weite einzuhauchen. Die Sicht vom Gespensterwald auf die Bucht bei Warnemünde oder der Blick in das Holz bei Weitenhagen haben Wiedererkennungswert, obwohl verwendete Farbklänge oft fremdartig wirken. Da gilt: Zivilisationskritik ist Hildebrandts Hintergrundfolie, auch wenn sie „Ash contend“, den Raketenstart von Kap Kennedy und ein über Farbdetonationen schwebendes Tier direkt neben schön gemalte Landschaft oder zerstobene Idyllen hängt. Wie viele Heutige ist sie hin- und hergerissen zwischen disharmonischer Umweltrealität und tiefgründiger Natursehnsucht. Die  Ambivalenz  überbrückt sie künstlerisch, indem sie das romantische  Naturbild - aus  der Sicht   des  davon abgespaltenen Menschen – neu definiert.

 

Das Entschwinden der Harmonie

 

Marc Langenberger

Berlin im Mai 2011

Zur Ausstellung  " A flowery meadow" 15.05. - 26.06.2011

STÄDTISCHES MUSEUM EISENHÜTTENSTADT 

 

 

A Flowery Meadow – die Welt als eine duftende Wiese voller Blumen. Eine wunderbare Vorstellung! Der Titel dieser Reihe aus groß- und kleinformatiger Zeichnung und Malerei, verspricht die Betrachterin in eine wunderbare, anmutige Welt zu entführen, jedoch hält Andrea Hildebrandt dieses Versprechen mit Ihren Arbeiten nur auf den ersten Blick. Auf den  zweiten Blick offenbart sich hinter der beeindruckend schillernden Farbgewalt des Blumenmotivs eine entzauberte Welt, in der prächtige Blüten zu welken oder deformierten Fragmenten werden. Andrea Hildebrandt spielt subtil mit dem Klischee des Blumenmotivs.  Sie benutzt und transformiert das Sujet des barocken Prunkstilllebens des späten 17./18. Jahrhunderts mit primär dekorativ-representativem Zwecke und setzt ihre Bilder, die die Betrachterin vor der Illusion des schönen Scheins warnen und auf sich selbst zurückwerfen, dagegen.

Die Bilder der Reihe entwickeln sich während der Arbeit daran in immer surrealer anmutende Kompositionen mächtiger, bedrohlich wirkender vegetabiler Gefüge. Teils werden die einzelnen Pflanzen fragmentarisiert, abstrahiert, verformt und wirken wie lose, umgeben von flirrenden Farbflächen im vielschichtigen räumlichen Wirrsal schwebend. Die scheinbar schwerelos gleitenden Flächen stehen im starken Kontrast zu den recht beunruhigend monströs wirkenden Formen. Diese Darstellung der verfremdeten Blüten, Stängel und des Geästs widerspricht dem klassischen Stillleben Motiv von in einer Vase arrangierten Blumen. Vielmehr liegen, schweben oder stürzen hier die Blumen und Blätter kreuz und quer durcheinander ohne festen Anker, aber meist vom Zentrum des Bildes ausgehend.

 

Arbeiten wie Floating hingegen suggerieren eine gewisse Leichtigkeit oder Verspieltheit. Es eröffnen sich Assoziationen zu tiefblauem Kosmos oder nebligen Wolkenschleiern, die die Pflanzenformen, Blüten und Fragmente umspielen und verhüllen. Die Betrachterin wird eingeladen kontemplativ in die atmosphärische Szenerie - in irreale Sphären räumlicher Weite einzutauchen. Als Ausgangsmotive für ihre Arbeiten benutzt Andrea Hildebrandt zumeist gezielt Schnittblumen als vom Menschen gezüchtete Pflanzen mit kurzer Lebensspanne. Noch vor der Blüte „geerntet“ und damit bereits dem Tode geweiht, einzig zum Zweck dem Menschen mit ihrer Schönheit zur Ansicht zu dienen. Auch Ansichten im Weltall explodierter  Sterne und damit entstehende Gas und Staubwolken oder Aufnahmen von Sternhaufen und flirrenden Schleiern um Schwarze Löcher herum, bilden den motivischen Ausgangspunkt der Arbeiten dieser Reihe.

 

Andrea Hildebrandt geht es in ihren Bildern stets freilich nicht allein um die Darstellung der Natur, sondern viel eher darum einen gedanklichen Inhalt zu transportieren. Die Arbeiten der Reihe A Flowery Meadow stehen somit in der Tradition des Stillleben des frühen 17. Jahrhunderts und knüpfen damit an dessen moralischen Impetus an. Die beeindruckenden Bilder von Andrea Hildebrandt sind wie die Versinnbildlichung der Begrenztheit des Menschen – seiner Handlungsfähigkeit wie auch seines Verstehens. Wir lassen uns treiben durch einen phantastischen Kosmos, umgeben von all den Widersprüchen, Verstrickungen und Überraschungen, denen wir unweigerlich ausgesetzt sind und die das Leben immer wieder neu für uns bereit hält - ob wir wollen oder nicht. Jedoch dies gleichermaßen als Chance zu begreifen uns neu "zu ordnen", darin liegt die Schwierigkeit. Die Arbeiten von Andrea Hildebrandt scheinen wie die Visualisierung des Entstehens und Entschwindens der Harmonie, der Dinge, der Zeit. Eine „Wiese“ voller Blumen in steter Veränderung.

 

FREMDE WELTEN?

Anmerkungen zu den Arbeiten von Andrea Hildebrandt

 

Michael Soltau

[Professor für Bildende Kunst, visuelle Medien und ihre Didaktik  am Caspar-David-Friedrich-Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald]

Greifswald, März 2009

 

In der Landschaftsmalerei formuliert der Bildende Künstler Hinweise über uns und unser Verhältnis zu unserer Umgebung, der Natur. Am Beispiel der Landschaft unternimmt er den stets neuen Versuch, sich der Welt im Dialog zwischen Innen und Außen zu vergewissern. Seine Empfindungen tragen dazu bei, sich dem unverständlichen großen Ganzen zu nähern und dabei seinen individuellen Ort zu definieren. Auf diese Weise erhält der Betrachter die Möglichkeit, die eigene Wahrnehmung in Relation zur subjektiven Äußerung des Malers zu überprüfen und seine eigene Sicht auf die Dinge weiter zu entwickeln.

 

In ihren gemalten Landschaften entwirft Andrea Hildebrandt Naturräume, die jenseits der erfahrbaren Wirklichkeit liegen. Sie formuliert innere Landschaften, denen sie in sensibler oft poetisch-expressiver Malweise den Charakter von archaischen Orten gibt. Farbe und Bildaufbau rufen Assoziationen zu fernöstlicher Malerei hervor. Erinnerungen und Visionen verschmelzen zu Metaphern der Unruhe und der fragilen Harmonie.  Skepsis und Euphorie verbinden sich jenseits der Melancholie. Mensch und Tier beleben die Szenerie wie beiläufig, nahezu fremd in unausgesprochener Gemeinschaft. Zu farbigen Zeichen reduziert finden sie nur schwer Zugang zur Vegetation einer anderen Zeit. Raumanzug und Karussell versinnbildlichen die Vehikel des verloren geglaubten Paradieses, eines locus amoenus auf einem anderen Planeten.

 

Die kulissenartigen Inszenierungen Claude Lorrains und die romantischen Landschaften Caspar David Friedrichs haben Andrea Hildebrandt sicherlich beeinflusst. Kenntnisse zu symbolistischen Bildwelten und den Elementen der Pittura Metaphysica Giorgio de Chiricos gehören gewiss zum intuitiven Potenzial der Malerin. Unabhängig davon entwickelt sie zielsicher eine autonome Bildsprache, eine selbstverständliche künstlerische Ebene des Authentischen und des Unverwechselbaren, die Vorraussetzung für die Qualität des Besonderen.

 

Der Maler Gerhard Merz hat sich einmal vorgestellt, es gäbe einen Himmel für Künstler. Dort später, angesichts der ganz Großen seiner Zunft,  „nicht als peinlicher Idiot“ da zu stehen, war sein wesentliches Anliegen; man dürfe schlicht „den Stoff nicht verraten“Gerhard Merz skizziert hier eine Haltung des Aufrichtigen und der Ehrlichkeit, der sich auch Andrea Hildebrandt verpflichtet fühlt.